Blechmesser

 

Behutsam nehme ich mein bestes und frisch geschärftes K5 Kochmesser aus der Kartonverpackung und überprüfe es auf Fingerabdrücke. Noch einmal kurz mit Alkohol abgewischt und jetzt ist es bereit, um den Kunden gezeigt zu werden.

 

Da kommt auch schon der erste Interessierte. Er nimmt das Messer in die Hand und schlägt sofort mit der fein ausgeschliffenen Spitze auf die Unterlage aus Ebereschenholz. Er lässt das Messer unsanft in die Verpackung fallen: "Blechmesser." Und da war er auch schon wieder weg.

 

Ich bin diese Vorgehensweise schon gewohnt, er war nicht der erste Messerprofi der anhand des Klanges der Klinge sofort deren Qualität zu erkennen vermochte. Der Ausdruck "Blechmesser" kam mir immer öfter zu Ohren und natürlich wurde ich neugierig. Ab diesem Zeitpunkt an hielt ich Ausschau nach diesen nutzlosen Klingen. 

 

Nach einigen tausend geschärften Messern kann ich mit Gewissheit sagen, dass nur 5 Messer von 1000 von so schlechter Stahlqualität sind, dass das Schärfen unmöglich und nicht sinnvoll ist. Aber auch diese Messer sind keine Blechmesser. Die unschärfbaren Klingen sind über 4mm dick und deren extrem weiches Klingenmaterial hat einen hohen Schlackenanteil. Bei jedem Versuch eine Schneidkante aufzubauen brach diese sofort an mehreren Stellen aus. Sogar herkömmliches Schmiedeeisen ist fester, zäher und härter.

 

Zurück zum Blechmesser. Das Problem liegt wie so oft in der Terminologie. Werden Fachausdrücke nicht oder falsch verwendet, dann kommt es unweigerlich zu Missverständnissen und zur Weitergabe von Messermärchen.

 

Blech ist gewalztes Metall. Die Grundlage von nahezu jedem industriell oder in Manufakturen gefertigten Messer ist ein Stück Stahlblech. In Rollen angeliefert werden die Klingenrohlinge ausgestanzt, geschmiedet, gehärtet, angelassen...

Warum erkennen einige Messerkundige die Qualität von verschiedenen Messerklingen am Klang? Natürlich können sie das nicht. Das einzige was sie durch den Klang wahrnehmen können ist die Klingendicke. Auch wenn die Klingenlänge variiert, ändert sich der Klang. Dicke Messerklingen haben fast keinen Klang, man hört nur das Auftreffen auf der Unterlage. Dünne Klingen singen etwas und werden dann gleich als "Blechmesser" abgestempelt.

 

Doch je dünner eine Klinge ist, desto geringer ist der Schnittwiderstand und desto schneller und leichter lässt sie sich nachschärfen. Dicke Klingen spalten das Schnittgut mehr als sie schneiden, wer möchte also so ein Messer mit dicker Klinge? Der Ursprung des Ausdruckes "Blechmesser" hat nichts mit der tatsächlichen Schnittleistung zu tun, sondern entstammt dem Nachschärfen von dünnen Klingen. In früheren Zeiten wurden die Messer an langsam drehenden Wassersteinen geschärft. Ich schärfe meine Messer heute noch so. Damals gab es die Bezeichnung "Blechmesser" noch nicht. Als aber schnell drehende Bandschleifer für das Schärfen verwendet wurden, tauchten auf einmal die Blechmesser auf. 

 

Alles musste schneller gehen, Tiere wurden in der Fleischerei im Akkord verarbeitet, Zeiten wurden gestoppt und die Effizienz musste gesteigert werden. Der langsam drehende Wasserstein hatte ausgedient. Leistungsstarke Bandschleifer mit groben Bändern fraßen die Klingen der Fleischermesser innerhalb kurzer Zeit zu kleinen Zahnstochern zusammen.

 

Diese ungeeignete Schärftechnik wurde dann auch bei dünnen und hochwertigen Kochmesserklingen angewendet. Bei gleicher Verharrdauer am Schleifband war im Nu nichts mehr von der dünnen Klinge übrig. Der schlechte Ruf von dünnen Messerklingen entstammt nur einer ungeeigneten Schärftechnik.

 

Messer sind Präzisionswerkzeuge. Für jede Arbeit gibt es das geeignete Messer und natürlich muss auch die Schärftechnik auf den Arbeitsbereich angepasst werden. Wird das nicht gemacht, entstehen bereichsübergreifende Dogmen und Märchen, die die eigene Arbeitsqualität einschränken können.  

Messerschmied Matthias Wiltschko

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